Progression in Brettspielen

Was ist Progression?

“Tatsächliche oder gefühlte Annäherung eines Spielers an ein Ziel.”

Tatsächliche Annäherung ist ziemlich offensichtlich. Das Spiel geht voran mit Anfang, Hauptteil und Schluss. Die Spieler bewegen ihr Boot auf die Ziellinie zu, erhalten mehr Ressourcen, bauen Städte oder erhalten mehr Fähigkeiten.

Bei der gefühlten – sprich subjektiven – Annäherung sieht es schon etwas anders aus. Wenn sich das Spiel für einen Spieler langatmig und gleich bleibend anfühlt, geht es für sie oder ihn nicht schnell genug voran. Das ist nicht zu verwechseln mit Langeweile, wenn der Spieler nicht das Gefühl hat, interessante Entscheidungen zu treffen. Aber das nur nebenbei.

Was für den einen Spieler als langatmig gilt, kann für den anderen schon wieder ganz anders aussehen. Daher subjektiv…

Wenn du also ein Spiel entwirfst, hängt das Maß und die Art von Progression auch immer von der Zielgruppe ab. Das Genre beeinflusst selbstverständlich die Länge des Spiels und die Frage, wie du die gefühlte Geschwindigkeit (das Pacing) steuern möchtest.

Bei Kinder- und Familienspielen sollte es so schnell wie möglich zur Sache gehen. Die Aufmerksamkeitsspanne von Kindern ist nicht besonders hoch und normalerweise dauert diese Art von Spielen auch nicht sehr lange.

Bei längeren Spielen im Kenner- und Expertenbereich ist es auch okay, dass das Spiel nicht so schnell "Fahrt" aufnimmt.

Das sollte aber keine Entschuldigung für schlechtes Design sein. In jedem ihrer Züge sollten die Spieler das Gefühl von Fortschritt vermittelt bekommen. Dies geschieht in der Regel durch eine Form von Belohnungen.

Belohnungen

Dabei bewegen wir uns auf zwei Achsen:

  • Der Häufigkeit von Belohnungen
  • Der Größe der Belohnungen

Je größer eine Belohnung ist, desto seltener sollte sie im Spiel erreicht werden. Je kleiner eine Belohnung ist, desto häufiger sollten diese auftauchen. Das Thema Belohnungen ist ein sehr spannendes Thema, zu dem ich noch ein eigenes Video machen werde. Aber zurück zu den Achsen.

Die beiden Stellschrauben Größe und Häufigkeit erlauben es uns als Designer, Progression zu gestalten. Durch das Balancing dieser beiden Faktoren können wir ein Erlebnis schaffen, welches Spannung erzeugt.

Ein Design könnte die Häufigkeit von Belohnungen im Laufe des Spiels reduzieren, dafür aber die Größe von Mal zu Mal erhöhen.

Oder die Häufigkeit bleibt gleich, aber die Belohnungen werden von mal zu mal größer.

Es gibt viele Möglichkeiten alleine mit diesen beiden Entscheidungen, der Häufigkeit und der Größe, ein ganz eigenes Spielgefühl zu designen.

Dabei bewegen wir uns hier noch auf der objektiven Ebene. Um den Eindruck von Fortschritt zu erhöhen, ist der Aspekt der Repräsentation interessant. Was meine ich damit?

Visualisierung von Fortschritt

Das Gefühl von Fortschritt wird in nicht geringem Maße durch die visuelle Präsenz beeinflusst. Und das sollten wir als Designer immer im Hinterkopf haben. Wir sollten nicht unterschätzen, wie gut es sich anfühlt, am Ende eines Spiels auf den Tisch zu blicken und zu sehen, was man alles "geschafft" hat – selbst wenn man nicht gewonnen hat.

Im Spiel könnte man z.B. durch eine Aktion einen Siegpunkt bekommen und dadurch weiter vorankommen auf der Siegpunkteleiste.

Dieselbe Aktion könnte jedoch auch 10 Siegpunkte geben.

Nur durch die Änderung der Anzahl der Siegpunkte würde es sich mehr nach Fortschritt anfühlen, obwohl objektiv im Spiel nichts anderes passiert ist. Ebenso könnten z.B. Tiles, die man platziert, mehr Raum einnehmen als sie eigentlich brauchen würden, oder anstatt nur Karten aufeinander zu legen, stapelt man Bauklötze.

Beispiele Arche Nova. Meadow.

Jetzt habe ich die ganze Zeit darüber gesprochen, wie Fortschritt übergeordnet gestaltet werden sollte, aber noch nicht, welche Arten es eigentlich gibt.

Arten der Progression

Ich glaube, es gibt nur drei Arten, durch die Progression sich ausdrücken kann.

1) Die Narration des Spiels

2) Die Veränderung des Spielstatus

3) Die Spielerfähigkeiten (auch Regeln – was können die Spieler tun?)

Narration

Die Narration beschreibt innerhalb eines Spiels die Geschichte des Spiels. Dazu gehört natürlich das Setting, aber vor allen Dingen die Erzählung – sprich Narration – einer Geschichte. Spiele wie Forgotten Waters leben fast ausschließlich von der Erzählung einer Geschichte und der Beeinflussung dieser Geschichte durch die Spieler. Die Cartaventura-Reihe reduziert die Entscheidungen des Spielers sogar so weit, dass sich die Grenze vom Spiel in Richtung Buch verschiebt.

Weg vom rein narrativen Spiel befinden sich Spiele wie Near & Far oder viele Legacy Spiele, die Spielmechaniken einbetten in eine übergreifende Geschichte.

Spielstatus

Der Spielstatus beschreibt den temporären Zustand eines Spiels. Also u.a. die Position aller Spielkomponenten, den Punktestand, die in Kraft getretene Regeln.

Die Veränderung ist unser Hauptwerkzeug, um Veränderung voranzutreiben und vor allen Dingen – wie schon erwähnt – sichtbar zu machen.

Spielerfähigkeiten

Die Spielerfähigkeiten schließlich lassen sich in die spielinternen und externen Fähigkeiten unterteilen. Engine building, wachsende Charakter Fähigkeiten bilden die erste Gruppe. Das äußert sich in Techtrees, individuellen Player Boards mit Upgrades usw. Spiele wie Scythe, Port Royal oder auch Munchkin repräsentieren dies sehr schön.

Die zweite Gruppe bilden die Fähigkeiten, die ein Spieler auf einer Metaebene entwickelt. Dazu gehören taktisches/strategisches Denken, Umgang mit Ressourcen oder auch effektivere Heuristiken. Diese Fähigkeiten sind nicht nur auf ein Spiel beschränkt, sondern beeinflussen auch andere Spiele und überhaupt die Welt außerhalb der Spiele. Abstrakte Spiele wie zum Beispiel Go oder Schach fördern diese Fähigkeiten besonders.

Stützfragen

Wie sieht also ein empfehlenswerter Umgang mit dem Thema Progression aus?

Nun, wie immer hängt es natürlich von der Art des Spiels, von der Zielgruppe und von deinen eigenen Zielen für das Spiel ab, aber es gibt vier Fragen, die mich häufig beim Design weiterbringen. Diese Fragen kannst du schon vor dem Design des Spiels stellen, um den Design Frame, aber auch immer während der Entwicklung, um zu überprüfen, ob du noch auf dem richtigen Weg bist.

  1. Was soll sich vom Beginn des Spiels bis zum Ende verändert haben?

(Narration, Spielstatus, Fähigkeiten)

  1. Auf welcher der drei Ebenen findet hauptsächlich Fortschritt statt und kann das Spiel bereichert werden durch Hinzufügen von Elementen aus den anderen Ebenen?
  2. Ist das Tempo des Fortschritts für die Gesamtspielzeit angemessen und wie sieht es aus mit den Achsen Häufigkeit und Größe der Belohnungen, die als Fortschritt wahrgenommen werden?
  3. Wie wird im Moment der Fortschritt im Spiel visualisiert und kann dies weiter ausgebaut oder befriedigender gestaltet werden?

Fazit

Am Ende ist das Gefühl des Fortschritts für die Spieler einer der zentralen Punkte deines Design. Dieses Gefühl ist von vielen unterschiedlichen Faktoren abhängig. Und deine Aufgabe als Designer ist es, für einen spannenden Mix der Arten zu sorgen und das Erlebnis über die Spielzeit hinweg zu designen. Ich hoffe, dass du mit meiner Hilfe nun Design Herausforderungen erkennen und einfacher lösen kannst.

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